5. März 2020

Essay

Wolfgang Mueller

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Impulsreferat zum Gebrauch der Mundart in der Verkündigungssprache

Man soll den Leuten auf dem Markt und in den Gassen aufs Maul schauen, wie sie reden und danach dolmetschenKein Geringerer als Martin Luther ruft dazu auf, die Alltagssprache der Menschen kennen-zulernen und zu berücksichtigen. Und mit „dolmetschen“ meint er wohl auch, einen Predigttext nicht akademisch, sondern in einer der Hörerschar zugänglichen Sprache auszulegen.

Obwohl diese Aufforderung des Reformators in Kirchenkreisen bekannt ist – und auf den „bunten Seiten“ der zum Reformationsjubiläum revidierten und hunderttausendfach verkauften Lutherbibel ausführlich dokumentiert wird – bleibt festzustellen: Die „Mundhabung“ der ortsansässigen bzw. regional über Jahrhunderte gewach-senen und gebräuchlichen Umgangssprache ins kirchliche Verkündigungsgeschehen einzuweben, war und ist ein umstrittenes Unterfangen. Von wohlwollendem Interesse an einer mundartlichen Verkündigung über eine skeptische Distanz bis hin zur mehr oder weniger deutlich artikulierten Ablehnung !badischer Töne in einer badischen Kirche in den Gemeindeleitungen, ist uns in den vergangenen Jahren alles begegnet.

In einigen Gebieten des deutschen Sprachraums haben Mundartpredigten Tradition und auch heute noch ihren festen Platz, z.T. mit amtskirchlicher Unterstützung. Dies gilt vor allem im niederdeutschen Sprachraum im Norden Deutschlands. Aber auch die württembergische Landeskirche leistet sich – wenn auch bloß mit einem Achtel seines Deputats – einen offiziellen Mundartpfarrer. Ich stehe mit Manfred Mergel in brüderlicher Verbindung, d.h. dass mir regelmäßig mitenanner schwätze/mitnander schwätzet. In der badischen Landeskirche weiß ich nur von wenigen Pfarrer*innen, dass sie gelegentlich eine Mundartpredigt oder Mundartandacht anbieten. In „unserem“ Fränkischen Sprachraum gab es ganz selten die Gelegenheit, in kirchlichen Mauern Mundartliches zu hören. Das hat sich durch unser Projekt „Die Frohe Botschaft auf Ohrenhöhe verkündigen“ grundlegend geändert.

Die Idee, im Rahmen des Reformationsjubiläums – dem Rat Luthers gemäß, dem Volk aufs Maul zu schauen (s.o.) – einen Gottesdienst in der kernbadischen Mundart zu konzipieren und bis auf die festgeschriebenen liturgischen Bausteine Glaubensbekenntnis, Vater unser, Segen und die Lieder, in unserem pfinzfränkischen Heimatdialekt zu gestalten, kam meiner Frau und mir vor einigen Jahren in der Pfalz, wo zu einem Gottesdienst mit einer pfälzischen Predigt eingeladen wurde. Nach einem Besuch in Wittenberg, wo wir uns auf „Spuren-suche“ begaben und auf dem Volksfest „Luthers Hochzeit“ die unterschiedlichsten Mundartfärbungen hörten, stand fest, dass wir auf der Angebotskarte der Badischen Landeskirche zum Reformationsjubiläum 2017 einen „Mundartgottesdienst auf Ohrenhöhe“ platzieren wollen. Seit Jahren gestalten wir in der Region bei kirchlichen und bürgerschaftlichen Anbietern schon Gemeindeabende und Seniorennachmittage in Mundart, die gut besucht und dankbar angenommen werden. Unser Vorhaben war also kein Sprung ins kalte Wasser, aber dennoch eine echte Herausforderung.

Unser Projekt sollte ein wohl bedachtes, durchaus mutiges Angebot, aber kein waghalsiges Abenteuer sein. Dazu sind die biblische Botschaft und auch die Mundart zu kostbare Güter. Weder die biblische Texte noch die Mundart dürfen als effekthascherische Zutaten benutzt werden.

Es darf dem Mundartgebrauch nichts Verkrampftes anhaften. Die Sprache soll den Vortragenden als ihre authentische und stimmige Form der Verkündigung abgenommen werden, als hör- und spürbarer Teil ihrer selbst und nicht als Mittel zum Zweck – und dies überzeugend und glaubwürdig.

Nur wer die Mundart von kleinauf für sein Denken und Planen, für das Ent-wickeln von Strategien und für das Klären von Verstrickungen wortgewandt und treffend gebraucht hat, wird zu einem die Hörer ansprechenden und innerlich bewegenden Ergebnis kommen. Auch wenn er – der Gesprächssituation geschuldet – in der gemeinhin als „Bildungssprache“ akzeptierten Hochsprache kommuniziert, kann der Mundartkenner erwiesener-maßen auf ein breiteres Repertoire an Synonymen und Nuancen zurückgreifen. Der reiche Sprachschatz der regionalen Mundart darf von einem Kundigen, der ihn geschickt und gekonnt einzusetzen weiß, „selbstredend und einleuchtend“ zur Erhellung oder Bekräftigung herangezogen und zum Dolmetschen einer sprachlichen Quelle mitbenutzt werden. Er kann die – eben nicht immer „selbst-verständlichen“ – Begriffe der (ab)gehobenen Standardsprache so in den Verstehensbereich der Hörer*innen rücken und ihnen „Glischde auf’s uffmerksam Zuhorche un gedanklich Debeibleiwe“ machen. Das darf m. E. auch für die gottesdienstliche (An)Rede, sprich das Predigen gelten. Dass die uns wichtigen Kernaussagen beim Angesprochenen als verstandene und hilfreiche Botschaft ankommen, zeigen die „wachen“ Gesichter der – erfreulich oft ökumenischen – Hörerschar und die überaus positiven Rückmeldungen nach den Begegnungen „auf Ohrenhöhe“.
Demnächst feiern wir mit unserem kernbadischen Zungenschlag Gottesdienste in Buchen im Odenwald, im Kirchenbezirk Mosbach in Obrigheim a.N. und im Kirchenbezirk Südliche Kurpfalz in Malsch. Diese „Auswärtsspiele“ mögen richtungsweisend verdeutlichen, dass und wie sich die regionalen „Aktivisten“ füreinander öffnen und austauschen können.

Wichtig ist uns der Hinweis, dass wir keine Dialekt-Apostel sein wollen. Es soll und darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Mundartpredigt die sinnvollere oder gar bessere Möglichkeit einer ansprechenden Verkündigung ist. Wir glauben aber, dass sie einen von allen akzeptierten Nischenplatz verdient  und auch ausfüllen kann, zumal wenn gilt: subsilire in caelum ex angulo licet – man kann auch aus einer Nische in den Himmel springen.

Wolfgang und Rosie Müller, Pfinztal

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