4. August 2024

Edgar Zeidler’s Sprachstub: Blùtt oder nàckig?

Edgar Zeidler

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Blùtt oder nàckig?

Im Standarddeutschen gibt es nackt und bloß. Was bedeutet im Dialekt nàckig und blùtt?

Das Adjektiv blùtt, nackt, ist im alemannischen Sprachraum mehr verbreitet als nàckig, nàck(i)t, oder nàcket, Adjektive, die man im Straßburger Raum findet und vermutlich vom lateinischen nūdus abgeleitet sind. Wehe dem, der in der Orangerie splìtternàckt oder puddelnàckt umherstreunt oder puddelnàgisch in Schladel (Schleithal)! Die Verwandtschaft mit bloß ist offenkundig: bereits im 12. Jahrhundert steht blōz im Mittelhochdeutschen und blōt im Mittelniederdeutschen.
Im Lörracher Raum hatte blutt früher eine etwas härtere Bedeutung als nackig. So hatte sich e blutti Frau abotte, e nackigi war es einfach nur. War ein Kind ungattig, hat es uf s blutti Füdle Streich kriegt. E Nackibutz, übrigens eines der alemannischen Lieblingswörter, isch e Chind, wo nackig ummespringt. Da hat es höchstens e Fudidätsch gää, einen liebevollen Klaps auf den Popo.
Früher hieß es: „Gott hätt ein Vögelin wol blutt on Federn gelassen, sollten wir es allein zu fressen haben.“ Die Bauernregel in Baden: „Wenns ins blutt Holz dundert, no schneits ins grüen“ und im Sundgau: „Wenn’s dunneret ìns blutte Holz, schnèit’s ìns griene,“ kann so verstanden werden: Wenn es im Winter donnert, kommt nochmal eine Kältewelle und es schneit im Frühjahr.
Interessant auch die Zusammensetzung blutteblos, scheinbar eine Tautologie und dennoch mit eigenem Sinn, im Sinne von kaum oder mit Mühe. Synonym: bluttebleeslig. I hà bluttebleeslig inne chenne, ich bin nur mit Mühe hineingekommen.
Ist jemand bludd wie e Kerchemuus im Kraichgau, blùtt wie n e Kìrichemüs in Colmar, dann ist er blùttàrm, eben völlig pleite, und geht wohl auch barfuß betteln: blùttfüess (Elsass), blùttfiesslig (Basel), bluttfiësig (Baden).
Obacht! Mit blutt kann es auch Missverständnisse geben. Wer z.B. in Waldighoffen, dem Heimatort von Nathan Katz, e Tee blutt trìnkt, sitzt nicht etwa nackt am Tisch, sondern trinkt ihn ohne Zucker. Sollte ein Basler Ihnen berichten: „Si hèt mr der Fläischkääs blùtt aanegstellt!“ heißt es, dass eine gut angezogene Serviererin den Fleischkäse ohne Zutaten serviert hat. Sollte Ihnen aber ein Zürcher erzählen, dass er diesen Sommer auf Sylt goht ge blùttle, dann ist mit Sicherheit FKK im Spiel.
Bleibt zu hoffen, dass der Besagte keinen Blùttkopf (Colmar, Straßburg), Bluttchopf (Sundgau) hat, sonst muss er wegen Glatze- Sonnenbrand-Gefahr einen Blùttkopfdeckel tragen. Dazu reichen wir noch eine Prise Elsässer Humor: „Liewer e Blùttkopf àss gàr kè Hoor!“

E. Zeidler, F. Scheer-Nahor, M.M. Jung, T. Heitlinger, B. Moog

Quelle:

Mit freundlicher Genehmigung durch:

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