22. Februar 2020

Buchvorstellung: Max un Moritz uff Badisch, übertragen von B. S. Orthau

Thomas Heitlinger

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Max un Moritz uff Badisch, übertragen von B. S. Orthau

Kommt in Besprechungen von Neuauflagen (oder in Vorworten zu Mundart-Übertragungen) die Rede auf Wilhelm Buschs bekanntestes Werk, dann wird oft darauf verwiesen, dass „der“ ‚Max und Moritz‘ neben „dem“ ‘Struwwelpeter’ das bekannteste deutsche Kinderbuch sei, geradezu Kultstatus habe mittlerweile, dass Auflagenhöhen von Nachdrucken zeigten, dass es immer noch zu den beliebtesten Kinderbüchern zählt, „auch wenn sich in einer Zeit der Sprechblasen-Comics (an deren Wiege Max und Moritz als Paten gestanden haben) langsam etwas Staub auf die gar nicht so idyllische dörfliche Umwelt des 19. Jahrhunderts senkt“ (M. Görlach, Max und Moritz polyglott, 1982, S. 149) oder dass man heute, mehr als 150 Jahre nach dem ersten Erscheinen, kaum mehr verstehen könne, dass der Verlag dem Autor sein Manuskript zunächst als ‚ungeeignet’ für eine Veröffentlichung zurückschickte oder dass die frühe Kritik das Werk als „eins von den äußerst gefährlichen Giften“ ansah, „welches die Jugend … naseweis, unbotmäßig und frivol machen“ würde (W. Sauer, De Pälzer Max un Moritz, 1985, S.7).

Anfänge gibt es also mehr als genug, aber ein wenig klingen sie nach dem bekannten Eulen-nach-Athen-Tragen, und bei der Einleitung der Besprechung einer Dialekt-Übertragung darauf aufmerksam zu machen, dass ‚Max und Moritz‘ mittlerweile in sehr viele bekanntere deutsche Dialekte übertragen wurde (und dass es darüber hinaus auch Übertragungen in die wichtigsten Fremdsprachen einschließlich des Lateinischen gibt), dürfte dem ebenfalls nahekommen.

Womit dann anfangen? Vielleicht mit Anfängen einiger Dialekt-Fassungen oder -Nachdichtungen selbst, und so seien einige aus dem auch von B. S. Orthau angeführten ‘Wasserzeichen der Poesie’ von A. Thalmayr, (1985, 381 ff.) zitiert: „Enä, wat muß mr üvver freche Puute/ of schänge oder spreche!“, „Och, wat hürt un lest’n faaken/ vun de Görn foer eische Saaken…“, „Alli kleine Galjestrickle/ spiele beesi Lumpestickle…“, „Ach, wos muß vo böasa Kinner/ mer sich ouhör und derinner.“, „Nei, was ghört me-n au für Gschichte/ von de böse Buebe bbrichte!“ A. Thalmayr ist bekanntlich H. M. Enzensberger, und der hat die Dialekt-Vorworte wiederum aus M. Görlach (Hg.), Max und Moritz. In deutschen Dialekten, Mittelhochdeutsch und Jiddisch, Hamburg 1982. Wer sich ein wenig auskennt, weiß oder vermutet es: der Reihenfolge nach handelt es sich um die Anfangszeilen des Vorworts zu Max und Moritz (dem Busch dann anscheinend später nochmal die Verse „Max und Moritz machten beide/als sie lebten, keinem Freude…“ voranstellte) in Fassungen auf Kölsch, Platt, Elsässisch, Fränkisch und Züri-Düütsch.

Und nun auch noch diese Übertragung ins Badische, wobei dieses ‘Badisch’ nicht ganz einfach zu fassen ist. So wie wir – meint B. S. Orthau in seiner Einleitung – ‘Schwäbisch’ im Wesentlichen als das betrachten, was wir von populären Schwaben wie Willi Pfleiderer oder seinen Nachfolgern im Rundfunk und Fernsehen kennengelernt haben, sei eben ‘Badisch’ wie ‘Schwäbisch’ oder ‘Bayrisch’ eine unter der Voraussetzung von Distanz erfolgte Abstraktion, eine durch Medienwirkung erfolgte Standardisierung und Normierung auf einen Dialekt, den es regional begrenzt gegeben haben mag oder gibt, der aber eben nicht mit einem Dialekt gleichgesetzt werden könne, der von den Badenern (respektive den Schwaben oder Bayern) allen gesprochen wird.

Am ehesten, so meint er weiter, mag als ‘sein’ Badisch vielleicht noch das gelten, was im alten Herzogtum um die Gegend von Durlach, zwischen Bruchsal und Rastatt gesprochen wurde, aber das dürfe nicht überdecken, dass wir es beim Badischen mit unterschiedlicher Mundarten zu tun hätten, die alte Stammeszugehörigkeiten, ehemalige Landes- und Herrschaftsgrenzen, alte Besiedlungsgeschichte widerspiegeln. Aber die Übergänge sind fließend und auch lokale Unterschied innerhalb einer Dialektgruppe können groß sein (ich selbst kann mich – als Beleg – zum Beispiel gut daran erinnern, dass gegen Ende eines Besuchs bei meinen Eltern meine aus Langenbrücken stammende Schwägerin meinen Bruder immer „Gehnama?“ fragte, wo wir – näher bei Karlsruhe – nur „Geh ma?“ zu sagen pflegten). Die hier vorliegende Übertragung sei jedenfalls innerhalb der Grenzen noch zulässiger Vereinfachung von örtlichen oder engeren regionalen Unterschieden eine, die dem zwischen Rastatt/Karlsruhe und Wiesloch-Walldorf, im engeren Sinn jedoch um die Gegend zwischen Bruchsal und Karlsruhe gesprochenen Dialekt zuzuordnen wäre.

Sie verdankt den Vorarbeiten von Walter Sauer und Rudolf Lehr und auch andern Dialektübertragungen einiges, ist aber durchaus als eigenständig zu sehen. R. Lehr, der ‚Max und Moritz‘ „uf badisch-pälzisch verzält“, ist dem Badisch Orthaus nahe, aber er kürzt Busch – durchaus nicht immer zum Nachteil – manchmal etwas ab, schreibt aber eben auch „de Vorrel zeije“, von „Sticklin”, „Diirlin”, “Gschichdlin” und verwendet einen Dialekt, wie er in Sandhausen, ca. 10 km südwestlich von Heidelberg, gesprochen wird.
Von B. S. Orthau heißt es, dass dies das Pseudonym eines (wohl mittlerweile emeritierten oder pensionierten) Hochschullehrers an einer südwestdeutschen Universität sei, 1948 geboren und in der Gegend zwischen Bruchsal und Karlsruhe aufgewachsen, und das kann man wohl glauben, denn er beherrscht seinen Dialekt, und er kann außerdem ganz gut mit Versmaß und Reimen umgehen. An keiner Stelle wirkt seine Übertragung gekünstelt oder unecht und fast könnte man vermuten – wenn man es nicht besser wüsste – dass W. Busch diese Dialektfassung selbst geliefert hätte.

Natürlich weist Orthau auch auf die Schwierigkeiten hin, die mit der genauen Erfassung von Dialektlauten, ihrer lautmalerischen Wiedergabe durch unsere Schriftzeichen gegeben sind, sodass es etwa für die Wiedergabe eines Lauts wie „oa“ in „oaner (einer)“ vielleicht Schriftzeichen bräuchte, wie sie nordische Sprachen verwenden, oder dass in „da Unkel“ der Artikel irgendwie changiert zwischen „der“, „dr“, „de“, „do“ und eben „da“ und dass man vielleicht sogar „Unkl“ oder „Ungkl“ schreiben sollte.
Aber wie auch immer, der Autor tut sein Bestes, um nicht nur dem Dialekt, sondern auch W. Busch möglichst gerecht zu werden, und es gelingt ihm meist ziemlich gut. Und so ist seine Dialekt-Fassung auch tatsächlich als Übertragung zu sehen, die dem Original sehr nahe kommt, nicht etwa als eine Art Nachdichtung, die Buschs Inhalte in ganz andere Sätze überträgt, in ganz andere Zusammenhänge überführt, so dass zwar immer noch Max und Moritz, aber eventuell nicht mehr Buschs Verse zu erkennen sind. Zum Vergnügen des Lesers schafft er es darüber hinaus, nicht nur Dialektausdrücke und idiomatische Redewendungen („Fertz im Hern“, „hählings“, „hinnafier“, „gnitze Buwe“, „unner Garandie todal kaputt“) unterzubringen, in Versen wie „Wie donn widder Sunndag war un da Lämpel wie sunscht aa“ oder „Un schunn isch’r uff da Brigg, graggs, do gracht die Brigg in Schdigg“ lässt er auch die lautmalerische Begabung Buschs durchscheinen.

Woher aber kommt diese Verwandtschaft von ‚Max und Moritz‘ mit dem Dialekt? Dieser enge Zusammenhang, den das Buch vielleicht sonst nur noch mit dem ‚Struwwelpeter‘ teilt? Ist es, wie Orthau meint, die Tatsache, dass ‚Max und Moritz‘ nicht nur ihm, sondern vielen, den meisten vielleicht, die wie er um die 50er Jahre geboren wurden, ein Stück der eigenen Kindheit war und von daher sehr eng mit dem Dialekt als Sprache des Aufwachsens, der Kindheit, verbunden ist? Es erscheint einiges plausibel an dieser These. Viele, die in dieser Zeit geboren wurden, werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass sich das Familienleben damals im Wesentlichen in der Küche abspielte und dass vielleicht, wie es auch in meiner Kindheit der Fall war, Bücher ziemlich rar waren, Kinderbücher zumal, dass aber irgendwo in der Eckbank bei den Spielsachen oder auf dem Küchenschrank bei den Zeitungen und beim ‘Konradsblatt’ eine Ausgabe von ‚Max und Moritz‘ und/oder vom ‚Struwwelpeter‘ mit den dicken kartonierten Seiten lag, die je nach der Stellung in der Geschwisterreihe, die man einnahm, mehr oder weniger zerfleddert war (bei uns lag ‚Max und Moritz‘ auf dem Küchenbuffet unter einer Holz-Schatulle mit Näh- und Stopfsachen und es geht die Geschichte in unserer Familie, dass das Ding meiner älteren Cousine mal auf den Kopf fiel, als sie was von da oben runterholen wollte). Und vielleicht erinnert man sich auch daran, dass Abzählreime und Kinderverse  wie „Dess isch da Daume, der schiddeld die Pflaume…“, „Ri, ra, rutsch, mer fahre mit da Kutsch“ oder „Hoppe, hoppe Reider…“ sich nur im Dialekt ‚richtig‘ anhören und es mag vielleicht auch kein Zufall sein, dass viele der Urheber der Dialektfassungen von ‚Max und Moritz‘ oder vom ‚Struwwelpeter‘ ihre Kindheit in den 40-er, 50-er Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebten.
Wo aber der ‚Struwwelpeter‘ naiv und ohne jede Ironie – teilweise sogar recht drastisch – das Erziehungsideal der gutbürgerlichen Familie hochhält, wo das Kind stets brav seine Suppe isst, bei Tisch nicht zappelt, sich brav kämmen und die Nägel schneiden lässt, nicht am Daumen lutscht etc., kommen Max und Moritz als gegen die Erwachsenen, gegen Lehrer und Obrigkeit aufbegehrende Anarchisten daher. Man verkennt W. Busch, wenn man ihn nur für einen Humoristen, einen Spaßmacher hält: Er war einer der großen Kritiker des Bürgertums. Wer Sachen wie zum Beispiel ‘Eine kalte Geschichte’ mit dem vereisten Meister Zwiel und seiner noch eisigeren Gattin („Von nun, liebe Madam Pieter, bitt‘ ich nur um ein Viertel Liter!“) kennt, wird das nachvollziehen können, und Geschichten wie ‘Plisch und Plum’,  ‘Die fromme Helene’ oder eben auch ‚Max und Moritz‘ machen deutlich, dass er eine ziemlich skeptische Auffassung vom Menschen vertrat und Erziehung daher nur ‘ironisch’ oder ‘parodistisch’ gegenüberstehen konnte: Erziehung erscheint ihm als eine Art von Dressur; für ihn ist im Grunde der Mensch nicht erziehbar, und selbst im ‘erzogenen Zustand’ kommt immer noch das krumme Holz hervor, aus dem er gemacht ist.

Natürlich kann man ‘Max und Moritz’ auch biografisch deuten, in Verbindung bringen mit seiner Situation in Ebergötzen bei seinem Pastorenonkel, dem er im Alter von 9 Jahren zur Erziehung übergeben worden war, mit seiner Freundschaft zu Erich Bachmann, dem Müllersohn, damit, dass die erlittene Trennung von Eltern und Geschwistern zugleich mit einer Privilegierung verbunden war, die ihn der Gewalt des Dorfschullehrers entzog und ihn in gewisser Hinsicht besonders machte, ihm eine Beobachterrolle zukommen ließ, die sein Erzieher, der Buschs Begabung in Zeichnen und Malen erkannt hatte, dadurch förderte, dass er ihn zu genauer Beobachtung seiner Umgebung, der Natur anhielt. B. S. Orthau, der dies an anderer Stelle (ders., Die Busch-Manuskripte. Neues von W. Busch, 2011, S. 162) anführt, schreibt dazu weiter: „Das überträgt sich auf die scharfe Beobachtung der Schwächen seiner Mitmenschen,  der Schattenseiten ihrer Institutionen, die angesichts der Verfasstheit des Menschen notwendigerweise nur heuchlerisch etwas vorgeben können, was sie in Wirklichkeit nicht tun oder erreichen. Buschs Menschenbild lässt jeden pädagogischen Optimismus der Aufklärung als von Anfang an zum Scheitern verdammt erscheinen und schon früh macht er sich in Bilderpossen wie ‚Die kleinen Honigdiebe‘ oder ‚Diogenes und die Kinder von Korinth‘ über Kinderbücher à la Struwwelpeter lustig, indem er vordergründig ihre Moral aufzunehmen scheint, ihre Tendenz zur Übertreibung des ‚guten‘ oder ‚bösen‘ Beispiels durch noch größere Übertreibung der Lächerlichkeit preisgibt und ihre Wirkung vernichtet.“

Auch ‘Max und Moritz’ ist unter diesen Perspektiven zu sehen, und selbst wenn am Ende doch die Moral gesiegt zu haben scheint und es – Gott sei Dank – vorbei ist mit der Übeltäterei, die ‘siegreichen’ Taten der beiden überstrahlen auch das und selbst ihr „schröckliches“ Ende setzt ihnen ein Denkmal.

Es würde vermutlich zu weit gehen, nun auch noch Bezüge zur 68-er Vergangenheit jener nach dem Krieg geborenen Generation herzustellen und ‚Max und Moritz‘ damit in Verbindung zu bringen, aber sicher hat die Freude an diesem Werk etwas mit dem Löcken gegen den Stachel der Erziehung, der Moral und der guten Sitten zu tun, und nicht zuletzt mag das die Faszination dieses Buches für Kinder ausmachen oder ausgemacht haben, eine Faszination, wie sie eben auch von einer Pippi Langstrumpf ausgeht, die weitgehend ohne Eltern und Erziehung aufwächst, aber unbesiegbar ist und darüber hinaus eine Villa, einen Affen und ein Pferd besitzt, oder davon, wie heutzutage Harry Potter kindliche Machtfantasien befriedigt. Aber Max und Moritz faszinieren eben nicht nur heranwachsende, sondern auch altgewordene Kinder, und so wie die vorliegende Dialektfassung auch zum Vorlesen für Kinder geeignet sein mag, die ein wenig mehr an ihren Dialekt herangeführt oder erinnert werden sollen, so verdient „Max un Moritz uff Badisch“ seinen Platz in badischen Bücherregalen neben der Originalausgabe.

 

Max un Moritz uff Badisch:
A Buwegschichd in siwwe Schdraich vun Wilhelm Busch,
iwwerdrahge vun B. S. Orthau;
Lindemanns Bibliothek 2010, ISBN 9783881905824,

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