Das Projekt „Badische Gutsele“
Historie und Zukunft, ein Essay von (c) Thomas Heitlinger 2022
Wer heute in Google nach den „Badischen Gutsele“ sucht, wird vielleicht enttäuscht sein. Es gibt einen Verweis auf die Seite, einen Link auf die gleichnamige wenngleich sehr lebendige Facebook-Gruppe, einige wenige Referenzen, und das war es eigentlich schon.
Tatsächlich steckt hinter dem Projekt eine Erfahrungshorizont, der bis in die 90er Jahre zurückreicht. Damals nämlich durfte ich auf Einladung einer damaligen Redakteurin im SDR an einer internationalen Mundarttagung in Dormagen teilnehmen.
Schon damals wurde über die Fragestellung der Repräsentanz von Mundartliteratur berichtet. Von der Schwierigkeit, Mundartbücher am Markt zu platzieren oder Besprechungen in Zeitungen oder anderen Medien zu erhalten.
Und dabei war jene Zeit noch eher günstig im Vergleich zur heutigen: Buchhandlungen mit einer regionalen Ecke gab es überall; Digitalisierung in Form von Internet war weitgehend unbekannt und der öffentliche Funk war noch an lokalen Kulturformen interessiert.
Knapp 30 Jahre danach ist der gesamte diesbezügliche Kulturbereich gewaltigen Herausforderungen unterworfen, die kaum registriert oder und noch weniger im öffentlichen Raum diskutiert werden.
In Nordbaden verschärfte sich die Situation ab 2015 noch einmal deutlich: Der öffentliche Rundfunk, der z.B. die Mundarthörspielreihen in seinem Programm bereits stark reduziert hatte, stellte auch die verbliebenen regionalen Kulturangebote ein.
Damit ergab sich für zwei Jahre entgegen eines versprochenen weiterführenden Konzepts – das schlussendlich bis heute nicht existiert – ein völliges Vakuum insbesondere im Bereich Nordbaden.
Wenn aber ein diesbezügliches Angebot erst einmal aus dem Radioprogramm gefallen ist, verschwindet gleichzeitig das Bewusstsein für das Vorhandensein einer regionalen Kultur, ja gar des geografischen Raums aus den Köpfen der Verantwortlichen.
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, in denen regionale Kultur Wertschätzung erfährt, ja sogar im Gegensatz zu den favorisierten Regionen innerhalb Baden-Württembergs, wird dieser Zustand scheinbar widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Parallel sind durch die verantwortliche lokale Administration keine Aktivitäten geplant, die an einem Runden Tisch im Juni 2020 in Stuttgart erarbeiteten Maßnahmen umzusetzen.
Als Antwort darauf haben sich die Autoren der Region Nordbaden selbst organisiert, um die Repräsentanz ihrer Mundartkultur in der Region Nordbaden sicherzustellen. Bis heute ist aus verschiedenen Gründen eine Vereinsgründung nicht denkbar und wurde im Rahmen der dokumentierten Diskussionen im Mai 2020 als Ziel zurückgestellt. Die Frage der Notwendigkeit eines Kulturvereins hat sich überdies im Laufe der Zeit völlig überlebt und ist nicht mehr zeitgemäß.
Die Reichweite einzelner Autoren oder Kulturschaffender für ihre Werke ist zu niedrig, um einen Absatzkanal zu schaffen. Geschuldet der Digitalisierung und dem zunehmenden Bezug von Büchern über das Internet, vor allem durch Amazon, ergibt sich die Situation einer stark erodierten Anzahl von Buchhandlungen, womit ein extrem geschrumpfter Absatzmarkt für regionale Kulturprodukte einhergeht.
Die Idee, eine Internetplattform ins Leben zu rufen, die regelmäßige Beiträge von Einzelautoren veröffentlicht, schien als eine Lösung, die mit halbwegs erträglichen Kosten verbunden war. Konzeptionell stand dahinter die Absicht, die meist geringe Anzahl von Nutzern der individuellen Autorenseiten auf einer Hauptseite zu bündeln. Schon zum Zeitpunkt der Konzeption war klar, dass eine Website mit unorganisierten Beiträgen nicht erfolgreich werden könnte. Auch der Mundart-Beitrag allein ist nicht ausreichend. Daher wurde das Konzept um die Sparte des Essays sowie ein halbjährliches Treffen erweitert.
Drei Jahre später scheint das Konzept aufgegangen zu sein, es hat sich zum derzeit erfolgreichsten Mundart-Internetprojekt in Süddeutschland entwickelt. Die Bewertung erfolgt dabei bezogen auf die vorhandenen Plattformen zu dem Thema, auf die Anzahl der Beiträge von unterschiedlichen Autoren sowie die Kennzahlen des Internetaufrufes der Website.
Das Konzept ermöglicht es auch, dass in relativ kurzer Zeit eine Ableitung auf andere Sprachregionen stattfinden könnte. Prinzipiell schwierig zu leisten ist jedoch der wider Erwarten hohe Wartungsaufwand, der zur Umsetzung der Konzeption geleistet werden muss.
Webseiten-Bereitstellung, Content-Aufbereitung sowie die Bedienung des Blogs stellen für die oft nicht Technik affinen Autoren eine Herausforderung dar. Der Aufwand, den Blog am Leben zu erhalten, ist enorm und verlangt hohen finanziellen als auch organisatorischen Einsatz.
Das Blog-Projekt bedarf einer jährlichen finanziellen Zuwendung in Höhe von 1.500-2.000 Euro sowie einer wöchentlichen Betreuungsleistung von 4-10 Arbeitsstunden mit zum Teil täglichen Kontrollhandlungen, die heute privat oft am Limit geleistet werden müssen. Die technischen Herausforderungen (z.B. durch SPAM oder Denial-of-Service-Attacken, der technischen Verfügbarkeit oder Weiterentwicklung) sind neben allgemeinen Aufgaben (wie Organisation von Mitgliederzugängen mit Passworterteilung, Beantwortung von Benutzerfragen) enorm.
Die Web-Weiterentwicklung sowie die allgemeine Betreuung (z.B. mit rechtlicher Einwertung der Inhalte) beansprucht knapp 30% als dauerhaften Aufwand. Nicht zuletzt entscheiden die interessierten Aufrufer selbst über den Bestand der Plattform. Der Content des Blogs muss daher mit fast täglichen Beiträgen gefüttert und aufrechterhalten werden, um ein dauerhaftes Interesse zu gewährleisten.
Ergänzend dazu sind Satellitenstrukturen aus Facebook, Instagramm und Youtube erforderlich, um den Content differenziert aufbereiten zu können.
Und nicht zuletzt stellt die Notwendigkeit zur permanenten Weiterentwicklung und Anpassung der Konzeption erhebliche Aufwände dar.
Die steigenden Mitgliederzahlen (bei Facebook eine Verdoppelung pro Jahr) zeigen nicht nur, wie dringend notwendig es ist, Dialekt bzw. regionale Kultur im öffentlichen Raum organisiert zu präsentieren, sie bieten auch langfristig die Möglichkeit für Werbe- und Marketingmaßnahmen bezogen auf ein interessiertes Publikum. Diese Möglichkeit kann dabei von Verlagen, von Veranstaltern oder anderen Gruppen erfolgreich genutzt werden und ersetzt am Ende die Distributionsmöglichkeiten, die früher die Buchhandlungen als Absatzmarkt eingenommen haben.
Ob das Projekt dauerhaft auf 5-10 Jahre erfolgreich sein wird, ist heute noch nicht absehbar. In einer neoliberalen, indifferenten oder gar kulturdarwinistischen Umwelt muss der Fortbestand und das Überleben durch verschiedene Kooperationen ständig ausprobiert werden, um das Überleben zu sichern. Weiterhin werden kommerzielle Lösungen erforderlich sein, um den privatwirtschaftlichen Betrieb zu gewährleisten.
Eine Unterstützung aus der Administration, aber auch eine Zusammenarbeit mit den etablierten Kulturvereinen in Baden-Württemberg kann dabei nicht erwartet werden. Die Herausforderungen für Vereine sind ähnlich wie die für den Blog, jedoch erweisen sich die Vereinsstrukturen heute als eher hinderlich weil sie zu statisch, zu langsam und zu schwerfällig und nicht mehr als zeitgemäß wahrgenommen werden. Das dort vorherrschende Verständnis von sozialen Netzwerken und den damit verbundenen Herausforderungen und Chancen scheint stark unterentwickelt, womit der wesentliche Schritt in die veränderte Neuzeit ausbleibt.
Die Umstände vergangener Zeiten lassen sich nicht zurückdrehen. Verlage und Buchhandlungen kommen als Möglichkeit zur Distribution nicht mehr zurück. Ein totes Pferd kann man nicht reiten. Die Vorgehensweise des Blogprojekts war rückwirkend gesehen alternativlos, aber auch wegweisend.
In jedem Fall zeigt das Projekt mit der vorliegenden Konzeption einen Ausweg aus der derzeitig prekären Situation auf. Es wird kein weißer Ritter von seiner Wolkenburg zur Rettung herangaloppieren. Klagen und Jammern hilft nicht. Entscheidend wird sein, ob das Projekt in der nächsten Phase eines tragfähiges Geschäftsmodell findet.
Und auch dies sei angemerkt: Obwohl der Blog nicht politisch sein will, ist es allein durch seine tägliche Präsenz ein Politikum gegenüber den Absichtserklärungen einer indifferenten Administration.
Der Blog ist nun zwei Jahre alt und zählt in dieser Zeit knapp 700 qualifizierte Mundartbeiträge mit ca. 40.000 Aufrufen. Die Webseite wird am Tag zwischen 20-50 mal aufgerufen, bei Promotion sind auch bis zu 100 Aufrufe möglich. Die Interaktionen liegen dabei zwischen 250-300 Aktivitäten in Summe.
Die zugehörige Facebook-Seite hat im Mai 2022 ca. 940 Mitglieder. Bei Promotion kann dabei ein Einzelbeitrag bis zu 2.700 Aufrufe erreichen.
Wie geht es weiter? Das Projekt ist derzeit zu erfolgreich, um es aufgeben zu können. In einer noch zu projektierenden Phase 2 müsste daher der Blog mindestens seine Kosten tragen können, womit eine gewisse Kommerzialisierung erforderlich wird.
Grundprinzip bleibt in jedem Fall und in jeder Phase die Kostenfreiheit der Autoren; die Zielsetzung für eine weitere Phase 2+x ist es, die Autoren für die Beiträge mindestens anteilig und angemessen honorieren zu können.
Derzeit werden folgende Finanzierungsoptionen geplant:
Veranstaltung von halbjährlichen Treffen mit thematischem Programm (ggf. in Kooperation mit anderen Vereinen)
Nutzung von VG-Wort (Zustimmung aller Beteiligten erforderlich)
Werbepartner aus der kommerziellen Welt
Aufnahme von Werbung in den Blog
Promotionen für Verlage/Medienhäuser
Promotion für Autoren
andere Kooperationen
Ideen auf der Ausgabenseite sind
das Etablieren von Förderprojekten aus der Autorengemeinschaft (z.B. ein Mundartwettbewerb)
die Erzeugung eines eigenen Labels zur Buchproduktion mit Vermarktung
der Aufbau eines Agenturservice für Anfragen zu Mundartlesungen oder anderen Veranstaltungen
die verstärkte Nutzung von Präsentationsmöglichkeiten wie Youtube für die eigene Darstellung
der Ankauf von Content für eigene Promotion
und vieles mehr.
Das Experiment des Blogs hat sich damit nach zwei Jahren als durchaus erfolgreich erwiesen, muss nun jedoch in die nächste Phase übergehen.
Schauen wir nach vorne. Die Reise geht weiter!
Hallo Thomas,
ja, Du hast recht. Die Reise sollte unbedingt weitergehen.
Dank für Dein großartiges Engagement. Das mit der Kommerzialisierung sehe ich genauso.
Meine Unterstützung im Rahmen meiner Möglichkeiten hast Du immer.
Hoffentlich sehen das Andere ebenso !
Jürgen Friese